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Hoyerswerda Superumbau


Die Kohle geht zu Ende. Vielleicht ist Hoyerswerda in zwanzig Jahren eine Geisterstadt wie die verlassenen Goldgräbersiedlungen. Der Schriftstellerin Brigitte Reimann schwante schon 1968 die Zukunft des Kombinats „Schwarze Pumpe und das Schicksal der Neustadt als das einer „überflüssigen Stadt. Standen vor drei Jahren 5000 Wohnungen leer und erwartete man, dass sich die Zahl bis 2010 auf 8000 erhöhen würde (Heft 24/2001), sind es heute schon 10.000 - trotz zwischenzeitlichen Abrissen. Von gut 70.000 Einwohnern Mitte der 8oer Jahre sind 42.000 übrig, für 2015 prognostiziert man 29.000, und deren Durchschnittsalter wird höher sein als heute. Damit wäre Hoyerswerda aber immer noch viermal so groß wie 1955, als der Ausbau der Stadt für die Arbeiter des Kombinats „Schwarze Pumpe“ beschlossen wurde - das Schrumpfen muss also gestaltet, muss von einer Debatte begleitet werden über die Identität der Stadt und das, was nach den Abrissen von ihr übrig sein sollte.
Genau daran aber mangelt es, meint die Architektin Dorit Baumeister vom Verein „Spirit of Zuse“, der in einem Gewerbegebiet am Stadtrand an der „aktiven Weiterführung der Ideen und Visionen Konrad Zuses als Erfinder, Ingenieur, Unternehmer und Künstler in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ arbeitet. In diesem Sommer heißt das Werkzeug „Superumbau“: ein „Kunstprojekt zur Erforschung urbanen Lebens in schrumpfenden Städten“, zur „symbolischen Dimension des Plattenbaus“ und zu „Möglichkeiten sozialer Orientierung durch experimentelles Handeln“, kuratiert von Ute Tischler, der Leiterin des Kulturamts Berlin-Lichtenberg, und dem Theaterwissenschaftler Harald Müller. Der Abriss eines Wohnblocks vom Typ P2 setzt dem Projekt den zeitlichen Rahmen. Der Zeilenbau befindet sich im Wohnkomplex VIII. Eine leer stehende benachbarte Kindertagesstätte wurde so weit hergerichtet, dass sie mit einer Ausstellung, einem Cafe und dem „Baubüro“ der Gruppe „Stadt im Regal“ als Zentrale dienen kann, sind die Arbeiten der insgesamt 17 beteiligten Künstler und -gruppen, Schauspieler und Filmemacher doch über die Neustadt verteilt. Die Neustädter sind also nicht nur eingeladen, die Künstler zu besuchen, die Künstler besuchen auch die Neustädter an den Orten ihres Alltags. So die Schauspielerin Bibiana Beglau, die Fotografin Antje Hanebeck und der Fotograf und Videokünstler Martin Rottenkolber. Ihre Licht-/Ton-/Foto-/Durch-reiche-lnstallation „Genormte Individualität“ in einem leeren Ladenlokal regte nicht nur die im Versorgungsstützpunkt Liselotte-Hermann-Straße ansässigen Alkoholiker zu spontaner Hilfe beim Saubermachen an, sondern auch eine arbeitslose Passantin zu der defätistischen Prophezeiung, das Werk würde die Vernissage nicht lange überdauern - bisher sei jede Verschönerung dem Vandalismus zum Opfer gefallen. Der Arbeit der Künstlerin Angelika Middendorf kann das nicht passieren. Ihr Großbild mit einem P2-Fassadenausschnitt und dem Stefan-Heym-Zitat „architektur ist mehr als alle anderen künste...die angelegenheit der massen ... diese zahlen nämlich die rechnung“ hängt unerreichbar hoch am Giebel eines Abbruchhauses im Zentrum der Neustadt.

Buchwalder Straße 35/Merz-dorfer Straße 14-18, WK VIII, Hoyerswerda Neustadt, www.spirit-of-zuse.de/platte/start htm; bis 27. September. Die Broschüre „Superumbau“ zur Geschichte der Neustadt und eine zur Ausstellung erschienene CD kosten je 5, zusammen 8 Euro.

ub, Bauwelt 34/03