STADT IM REGAL - RENDEZVOUS, ein Haus für Mrs Farnsworth
2010


Ein Rendezvous arrangieren

STADT IM REGAL lädt das Ferienhaus von Mrs. Farnsworth, das berühmte Farnsworth House aus der Nähe von Chicago zu einem Rendezvous in die Neue Nationalgalerie in Berlin ein.

STADT IM REGAL inszeniert das Rendezvous und errichtet ein 1:1 Modell des Farnsworth House aus Low-Tech-Materialien auf der oberen Ausstellungsplattform der Neuen Nationalgalerie.

Die Glasfronten beider Gebäude werden jeweils einseitig verspiegelt, so dass man von außen in die Neue Nationalgalerie hinein- und von innen aus dem Farnsworth House herausschauen kann, aber nicht umgekehrt. In dem daraus resultierenden komplett verspiegelten Zwischenraum werden die Besucher*innen von Struktur und Bewegung gleichermaßen gefangen genommen.

Der Tempel der Moderne wird somit in seinem Innenraum zu einem Spiegelgarten der Moderne, in dem die Besucher*innen sich und die Anderen endlos vervielfältigt betrachten können. Einziger Rückzugsort um dem Blick der Anderen und der eigenen Spiegelung zu entkommen ist das Innere des Modells des Farnsworth House. Hier verhindert die einseitige Verspiegelung der Glasfronten den Blick nach Innen. Im Haus selbst kann man ungestört einem privaten Rendezvous nachgehen und gleichzeitig die Anderen und den Spiegelgarten der Moderne betrachten.

STADT IM REGAL stellt durch die Versuchsanordnung Paradigmen der Moderne wie Durchsichtigkeit, Übersichtlichkeit, Panorama-Blickmöglichkeiten und durch Architektur gesteuerte/vermittelte Wahrnehmung des Raums zur Disposition und ermöglicht deren Erprobung im Selbstversuch.


Die Geschichte: Less is more. / We know that less is not more. It is simply less!

Beide Gebäude wurden von Mies van der Rohe gebaut: Das Farnsworth House 1946–51 im Auftrag von Dr. Edith Farnsworth am Fox River sechzig Meilen südwestlich von Chicago, die Neue Nationalgalerie 1965–68 für die Stadt Berlin (West) als Teil des von Hans Scharoun (Philharmonie, Staatsbibliothek) konzipierten Kulturforums in der Nähe des Potsdamer Platzes, damals Grenzgebiet zwischen Ost- und Westberlin.

Das Farnsworth House besteht aus zwei rechteckigen, parallel zueinander verschobenen Ebenen, die über dem Boden zu schweben scheinen, gehalten von 8 Stahlstützen. Treppen verbinden den Boden mit der freien Terrassenebene und diese mit der Ebene (ca. 9 x 23,5 m, Wohnraum 140 qm + überdachte Terrasse 55 qm) des eigentlichen Gebäudes. Als Wochenendhaus entworfen, liegt das Farnsworth House abgeschieden in einer weitgehend unberührten Uferlandschaft, auf einem baumbestandenen Grundstück längs des Nordufers des Fox Rivers in Plano, Illinois.

Es gab zwischen Mies (less is more) und seiner Bauherrin Dr. Farnsworth (We know that less is not more. It is simply less!) heftige Auseinandersetzungen um den Bau, die bis vor Gericht gingen. Der Konflikt zwischen Idee und Nutzung ist exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der Moderne.

Abgesehen von Budgetüberschreitungen und einer irgendwie verqueren Beziehungsgeschichte, erachtete Mrs. Farnsworth das Haus als unakzeptabel, weil unbewohnbar - obwohl sie in Kenntnis modernistischer Architektur und durch die Gespräche mit Mies van der Rohe hätte wissen können, auf was sie sich einließ. Das Haus ist in ihrer Wahrnehmung tagsüber eine Art Aquarium, von allen Seiten komplett einsehbar und nachts eine Insektenlaterne, gegen deren Glashülle die Falter knallen. Also kein Haus, das einem Schutzbedürfnis dient, einen Rückzugsraum vor der Außenwelt bietet, sondern, schön und streng, eine Art schwebender, transluzenter Tempelbau, wie auch die Neue Nationalgalerie.

Aus dem Miesschen Gedanken des fließenden Raumes, des Rendezvous' zwischen Outside und Inside entsteht für Edith Farnsworth eine übermächtige Präsenz des Außen im Inneren des Hauses, die ihre Privatsphäre bedroht. Sie fühlt sich ausgestellt. In ihren Augen wird das Farnsworth House zur Ausstellungsvitrine oder sogar zum Röntgenapparat. Any arrangement of furniture becomes a major problem, because the house is transparent, like an x-ray. There is a certain brutality about having the outside inside.

Mies dagegen ist begeistert über die Ermöglichung des nahezu unbegrenzten Ausblicks mit der Verwendung großer Glasflächen. Before you live in a glasshouse you do not know how colorful nature is. It changes every day. Architektur ereignet sich sowohl im Außen- als auch im Innenraum des Gebäudes mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Für Mrs. Farnsworth war das Haus ein Alptraum, für die Architekturgeschichte eine ultimative Umsetzung möglicher Abstraktion.

Bei der Neuen Nationalgalerie ist im oberen Teil auch die Konzeption einer vollverglasten Baustruktur realisiert. Sie besteht aus einem weit auskragendem Quadratdach (64,8 x 64,8 m), einem Stahlträgerrost (mit einzelnen Kassetten à 3,60 x 3,60 m und 1,85 m tief), der auf acht Außenstützen (8,50 m) aufliegt. Der schon im Farnsworth House verwirklichte Gedanke eines fließenden Übergangs von innen nach außen ist in der Neuen Nationalgalerie durch die 7,2 m zurückgesetzte Hallenverglasung weitergeführt. Die allseitige Transparenz, die nicht zuletzt klimatechnische Probleme nach sich zieht, führte auch hier zu Diskussionen um die Nutzbarkeit der Halle als Ausstellungsraum. Mies Kommentar dazu: It is such a huge hall that of course it means great difficulties for the exhibiting of art. (...) But it has such potential that I simply cannot take those difficulties into account.


Das Rendezvous: eine synchrone Zusammenschau

STADT IM REGAL arrangiert ein Rendezvous zweier weltberühmter Gebäude, ein Rendezvous zwischen Ludwig Mies van der Rohe und Edith Farnsworth, zwischen Architekt und Bauherrin, zwischen Boy und Girl, ein Rendezvous zwischen Outside/Inside, ein Rendezvous zwischen Oberfläche/Tiefe, ein Rendezvous mehrerer möglicher Blickwinkel, ein Rendezvous zweier Zeiten (Moderne/Heute), Rendezvous zweier Kontinente, Orte (West-Berlin/USA), ein Rendezvous zweier Kulturen (Europa/US-Amerika), ein Rendezvous zweier Formate (Original/Nachbau), Rendezvous des Privaten mit dem öffentlichen Raum, ein Rendezvous zwischen projektiver Romantik und psychologischer Reaktion (Betrachtung der Natur, nahezu unbegrenzter Ausblick/das Betrachtetwerden, das Gefühl des Ausgeliefertsein durch Bühneneffekt, Einsehbarkeit), ein Rendezvous zwischen less is more (Reduktion der Mittel als Luxus und Ausdruck eines Formwillens) und less is less (durch Reduktion erzeugter Mangel, Vernachlässigung elementarer Bedürfnisse).

Für einen Moment in Berlin zusammenkommend, stellt sich das Gebäude-Paar zur Schau. In einer leichten Verschiebung zum Raster der Neuen Nationalgalerie, die der ursprünglichen Ausrichtung des Farnsworth House am Fox River entspricht, positioniert sich das Farnsworth House zwischen den mit dunkelgrünem Tinos-Marmor ummantelten Versorgungsschächten in der transparenten Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie. Schon diese schräge Ausrichtung zueinander spricht von einer unbequemen und widersprüchlichen Ausgangsposition, aber auch von der Möglichkeit eines Dialogs mit offenem Ausgang.

Die Neue Nationalgalerie, nach innen verspiegelt, umfasst das Farnsworth House wie eine Vitrine. Die beiden Gebäude werden miteinander konfrontiert, blicken sich an, und treten in einen Dialog zueinander. Sie orientieren sich nicht mehr zur Weite der Landschaft oder dem Dickicht der Stadt, sondern beziehen sich auf ein Innen, auf sich selbst und ihr Gegenüber und wieder auf sich selbst, reflektiert durch ihr Gegenüber.

Beim Rendezvous in der Nationalgalerie bleibt durch die nach außen verspiegelten Scheiben der Blick ins Innere des Farnsworth House verwehrt. Vom Innenraum aus ist es hingegen möglich hinaus zu blicken. Wir geben Mrs. Farnsworth die Kontrolle zurück: Aus der Beobachteten wird die Beobachtende. Die Neue Nationalgalerie öffnet sich nicht mehr zur Stadt, sondern zieht sich auf sich selbst zurück, blickt nach Innen und auf das Farnsworth House im eigenen Zentrum. Das Farnsworth House, nach außen verspiegelt, liegt nun im Inneren der Nationalgalerie, wie ein im Inneren nach außen gekehrter Hof.

Mies thematisiert mit seiner Architektur den Blick, deshalb ist es interessant, die Architektur von Mies van der Rohe in der Genealogie der Erfindung der Perspektive zu sehen. Das Farnsworth House und die Neue Nationalgalerie sind als vierfaches Panorama konzipiert. Der Blick wird in die Tiefe des Außenraums gelenkt, doch gleichzeitig begrenzt die Rahmung den Bildausschnitt. Die Fenster scheinen eine Illusion auf ebener Fläche zu erzeugen. Wie bei einem Bild wird die Landschaft durch das Fenster fast wie ein auf sich selbst reduziertes Abbild wahrgenommen. Die Architektur wird auf Blickebenen/Blickräume hin konzipiert, sie wird zur gebauten Perspektive. Die Idee der Raumausdehnung, der Erweiterung des Raumes durch ein Verschmelzen von Bild und Architektur in der Darstellung seit der Renaissance wird hier aufgenommen und jetzt durch die Architektur allein konstruiert.

Vom Inneren der Ausstellungshalle umrahmen die Fensterfronten den Blick auf die Stadt, wie ein zentralperspektivisch angelegtes Wandbild. Die Freiheit, sich im Raum zu bewegen geht einher mit der Kontrolle des Blicks. Der Raum gibt keine Bewegung vor, aber er diktiert den Blick, indem er die Betrachter*innen in zentralperspektivischer Logik in Bezug zum Außenraum setzt.

Von außen überlagern Spiegelungen diese Bildpanoramen in einer collageartigen Zusammenschau. In Reflexionen und Schatten geraten die Betrachter*innen selbst ins Bild und werden Teil der Oberfläche. In der Neuen Nationalgalerie und im Farnsworth House vermischen sich der Ausblick mit den Spiegelungen in den Fenstern. Es entsteht eine Collage von Architektur, Bild und Spiegelung. Eine synchrone Zusammenschau von Erinnerung, Beobachtung und Erwartung. Die so entstandene Oberfläche kann dann wieder dreidimensional gedacht/verstanden/gelesen werden: Bei Mies ist eine Ebene immer eine »dreidimensionale Oberfläche«: eine unendlich dichte Platte, die auf das verweist, was in ihrer Dichte, ihrer virtuellen Tiefe liegt (...) ein visuelles Schauspiel und kein abstraktes Verhältnis. (Joesp Quetglas: Der gläserne Schrecken. Mies van der Rohes Pavillion in Barcelona. 2001)

Die beiden Bauwerke initiieren in ihrem die Struktur enthüllenden Charakter ein Wechselspiel zwischen Öffnung und Schließung, Privatem und Öffentlichem, Innen und Außen. Die Glashalle, das Glashaus sind von der Miesschen Entwurfspraxis heraus betrachtet Ready-mades, die immer wieder aufgeführt werden können und dann durch eine spezifische Positionierung in der Stadt, in der Landschaft neu erfahren und gesehen werden können. Der Raum wird durch Raum artikuliert. Dadurch behält der gebaute Raum einen Entwurfscharakter, der potentiell den ihn umgebenden Raum und im Gegenzug auch das Gebäude selbst wieder neu bestimmen kann. Die Skulptur von Stadt im Regal setzt dieses Potential im arrangierten Rendezvous um.


RENDEZVOUS - ein Haus für Mrs Farnsworth

Durch Spiegelung und Illusion räumlicher Durchdringung der Fassaden ergibt sich nicht nur ein neues Raumverständnis, sondern die Struktur der beiden Bauten wird damit radikal geändert. Mit dem Verfahren des Einsetzens und Verspiegelns, der Aufhebung der Transparenz, werden die Fassaden neu konstituiert. Die Bauwerke öffnen sich nicht mehr zur Außenwelt, sondern verhaken sich ineinander mit den gigantischen optischen Tentakeln, die jetzt ihre Fassaden mit Hilfe der Betrachter*innen zu entwickeln imstande sind. Sie kommen aufeinander zu und verbinden sich, von sich selbst fortführend, in ans Bizarre grenzende versetzt.

Im Gegensatz zum kontrollierenden, gerichteten Blick aus dem Farnsworth House, entsteht im Zwischenraum eine Parallelität von Bildeinheiten und Blickbewegungen, die mit Ausschnitt, Nah- und Fernblick, Aufscheinen und Verschwinden von Bildsequenzen den Raum kaleidoskopisch vervielfältigen und zerstückeln. Die Besucher*innen bewegen sich durch ein Bild-Bewegung-Raum-Gefüge, in dem sie immer wieder im eigenen Blick stehen. Wir schicken die Betrachter*innen auf den Weg, Blicke, Bild und Raumeinheiten zu einer losen Rahmenhandlung zu montieren, in der sie sich selbst als Protagonist*innen beobachten.