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Karen Winzer Auf Esperanto heißt Brache guto

Text und Fotoprints, diverse Formate

In den 1920er Jahren war die Rütli-Schule in Neukölln eine sogenannte „Lebensgemeinschaftsschule“, und die Schüler:innen haben unter anderem Esperanto gelernt.
Kurz bevor ich 2006 schräg gegenüber der Schule eingezogen bin, hatten Lehrer:innen einen Brandbrief verfasst, weil der Schulalltag gewalttätig und Lernen unmöglich geworden war. Der damalige Bezirksbürgermeister Buschkowsky entschied daraufhin, die ganze Straße umzubauen. Von meinem Balkon aus konnte ich dabei zusehen. Zuerst sind Baracken hinten links abgerissen worden.
Mit der Baustelle ist auch die Brache gekommen.

Holzbohlen lagen auf der freien Fläche herum. Ich habe Franziska Wicke gebeten, sie so mit mir aufzuschichten, wie ich es in der Schweiz bei den Augustfeuern gesehen hatte. Ich wollte auch ein Feuer machen und habe Freund:innen dazu eingeladen. Die Feuerwehr hat mir nicht erlaubt, das Holz anzuzünden, stattdessen hat ein Auto in der Rütlistraße gebrannt. (Otto – für Markus Rohrbach, Holzbalken, Rütli-Straße, verbranntes Auto, 1.8.2009; Fotografie (Stefanie Bischoff), Poster 64 cm x 50 cm, 2009)


Roy C. Sullivan steht im Guinness Buch der Rekorde, weil er sieben Mal vom Blitz getroffen worden ist. 2009 habe ich entschieden, die Blitzeinschläge nachzustellen. Wolfgang Janzer, der aussieht wie ich mir Gott vorstelle und in der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung Manege in der Rütlistraße arbeitete, schien mir eine ideale Besetzung für den Blitz zu sein. Ohnehin war die Rütlistraße wie gemacht für den letzten Einschlag, der bei einem Angelausflug passiert war: Weil die Straßenpflasterung sehr uneben war, haben sich, wenn es stark geregnet hat, riesige Pfützen gebildet. Nach einem solchen Schauer, haben wir die Situation nachgestellt: Ich habe als Roy C. Sullivan in einer der Pfützen geangelt und Wolfgang Janzer hat mit der Gartenfackel den Blitz gemacht. (Ein Jahr für Roy C. Sullivan, Blitz Nr. 7, 25.6.2009; Fotografie (Paul Pawlicki), Maße variabel, 2009)


2020 sind die Bauarbeiten fast abgeschlossen. Es gibt nun eine Turnhalle, einen Schulerweiterungsbau, das Stadtteilzentrum, das Berufswerkstatt-Gebäude, Fahrradständer und einen großen, geteerten Platz mit Bänken und Beton-gefassten Plateaus. Hinter der Rütli-Schule steht ein achteckiger Anbau wie ein kleines, rustikales Ufo. Die Rütlistraße hat jetzt einen Zaun mit offenen Türen und ist offiziell keine Straße mehr, sondern ein Campus. Die Brache ist über die Jahre weitergewandert und nun schon lange ganz hinten rechts, auf dem Gelände der ehemaligen Kleingärten. Im Moment zeltet dort jemand, Hunde rennen rum, bald sollen Bienenvölker kommen.

Neukölln gehört zu den am dichtesten bewohnten Stadtteilen Berlins. Ich messe die Brache aus und berechne, wie viele Leute auf der Fläche sein müssten, um die Bevölkerungsdichte verschiedener Länder und Städte abzubilden. Um sie zu simulieren, kommen 30 Freund:innen und stellen sich auf: z. B. 17 für Berlin, 0,5 für Frankreich, für Nauru inklusive der Geflüchteten fast 3, für Bahrain sind es 8,32. Wäre die Brache Monaco, müssten hier 79,7 stehen. Für Mannheim sind es 9 (so viele Leute wie zu Stadt im Regal gehören) und für Neukölln 31. (Rütli besiedeln, 12-teilige fotografische Serie (Anika Büssemeier), Poster, 50 cm x 75 cm, 2020)

Frankreich
Frankreich
Nauru, exklusive Geflüchtete (2018)
Nauru, exklusive Geflüchtete (2018)
Neukölln
Neukölln